Vergangenes Schuljahr verbrachte Lydia aus den USA bei mir. Sie war die vierte Austauschschülerin die ich bei mir aufnahm. Wir gewöhnten uns sehr schnell aneinander, und passten sehr gut zueinander. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase mit ein paar kleineren Missverständnissen und manchmal etwas Durcheinander, war Lydia sehr selbstständig. Auch wenn ich als alleinstehende junge Frau nicht immer zu Hause war, meisterte Lydia den Alltag sehr gut und fand sehr schnell gute Kameraden, sowohl in der Klasse, als auch in Vereinen und unter den anderen Austauschschülern. Zu Beginn empfinden es die Austauschschülerinnen vielleicht etwas komisch, dass sie nun ein Jahr bei einer alleinstehenden jungen Frau leben werden. Doch sehr bald merken sie, dass ich dadurch viel mehr Zeit habe, etwas mit ihnen zu unternehmen und ihnen die Schweiz zu zeigen. Ich selbst geniesse es, dadurch beim Wandern Gesellschaft zu haben, und die Schweiz immer wieder von neuem zu entdecken.
Was ich an all meinen Austauschschülerinnen mochte war, dass sie immer sehr gerne zu meiner Familie mitkamen, alle ins Herz schlossen und ab und zu sehr viel Geduld aufbrachten. Jemand ging während meiner Abwesenheit sogar mit meiner dementen Grossmutter Tee trinken und einen Schwatz halten.
Was uns immer etwas Schwierigkeiten bereitet ist, unserer Beziehung einen Namen zu geben. Ich bin zwar unterdessen etwa zehn Jahre älter als die Austauschschülerinnen welche kommen, doch als GastMUTTER sehen weder ich noch die Austauschschülerinnen mich. Lydia philosophierte kurz vor ihrer Abreise darüber, dass meine jüngeren Schwestern dann ja ihre Gasttanten wären, und da kugelten wir uns wiederum vor Lachen.
Toll finde ich es auch immer, dass meine Austauschschülerinnen in die Trachtengruppe mitkommen in welcher ich tanze, und dass sie dort sehr herzlich aufgenommen werden. Ich wurde schon gefragt, wie ich denn die Austauschschülerinnen immer dazu bekomme mitzukommen. Doch dies ist überhaupt kein Problem. Zu Beginn frage ich sie jeweils ob sie einmal mitkommen möchten. Sie müssen nicht tanzen wenn sie nicht wollen. Doch wenn man für etwas Feuer und Flamme ist, so kann dies sehr ansteckend sein. Meine vorletzte Austauschschülerin verteilte bereits an ihrem zweiten Wochenende hier in der Schweiz in einer Tracht Kaffee an die Umzugsbesucher. Lydia kam sogar mit an das Unspunnenfest in Interlaken, und wir wurden von allen möglichen Touristen wegen unserer Tracht fotografiert, und machten uns gemeinsam darüber lustig, dass niemand die Amerikanerin in Schweizer Tracht enttarnte.
Vor kurzem reiste Lydia wieder ab. Nun habe ich wieder ein Fotobuch zusammengestellt, welches ich Lydia dann als Erinnerung zu Weihnachten schenken möchte. Als ich es meiner Familie zeigte, meinte sie: „Unglaublich, was die Schweiz alles zu bieten hat. Wenn ich an die Schweiz denke, dann denke ich einfach an meinen Alltag. Doch wenn ich dieses Fotobuch sehe, dann denke ich, dass ich vielleicht auch etwas mehr unternehmen sollte. Das Fotobuch würde glatt für Schweiz Tourismus gut Werbung machen.“
Der traurigste Moment in so einem Austauschjahr ist immer der Abschied. Von Jahr zu Jahr werden die letzten Momente am Flughafen emotionaler. Doch meist darf ich mich auf ein baldiges Wiedersehen freuen. Meine erste Austauschschülerin ist mich seit ihrer Heimreise jedes Jahr mindestens einmal besuchen gekommen. Auch wenn die meisten Austauschschülerinnen welche ich hatte zu Hause luxuriöser leben als hier bei mir, empfinde ich es so, dass ich ihnen dennoch etwas bieten konnte. Denn wenn ich sie vor der Abreise jeweils frage welches ihre besten Erlebnisse bei uns waren, zählen alle immer eine ganz einfach eingerichtete Berghütte oder eine Wanderung auf. Aus diesem Grund kann ich alle neuen Gastfamilien beruhigen, dass es nicht aufs Geld ankommt, welches man für die Austauschschülerinnen ausgibt. Viel wichtiger sind ihnen die Begegnungen mit lieben Menschen, gemeinsame Erlebnisse und neue Erfahrungen.
Tipps welche ich neuen Gastfamilien geben würde, wären zum Beispiel, dass die Austauschschüler unbedingt in einen lokalen Verein ihres Interesses gehen sollten. Denn so können sie viel besser Kontakt zu Schweizer Jugendlichen knüpfen, und treffen sich nicht nur mit den anderen Austauschschülern. Dies ist natürlich auch wichtig, doch bekommen sie viel mehr von der Schweizer Kultur mit, wenn sie auch einheimische Kameraden finden. Ebenfalls rate ich dazu, dass man nach Möglichkeit für die Austauschschüler ein GA organisiert. Dies muss man natürlich nicht selber bezahlen. Doch mit etwas hin und her kann man die Kosten für die Austauschschüler so gering wie möglich halten. Einerseits bezahlt AFS ja den Teil für den Schulweg und das Halbtax. Dann können die Kosten mit Reka-Checks weiter gesenkt werden. Zusätzlich mache ich es jeweils so, dass ich mein eigenes GA an das GA der Austauschschülerin dran hänge (GA duo Partner). Dadurch wird mein eigenes GA günstiger, und diese Preisdifferenz gebe ich dann ans GA der Austauschschülerin. Der Grund weshalb ich für meine Austauschschülerinnen immer ein GA organisiere ist der: Die Kosten sind am Ende in etwa gleich, oder sogar etwas tiefer, als wenn sie kein GA hätten. Aber der Unterschied ist, dass sie wirklich Ausflüge machen, und es ausnützen, dass sie überall in der Schweiz herumreisen können. So überlegen sie nicht vor jedem Ausflug, ob sie diese Kosten jetzt wirklich vermögen, oder ob sie das Geld lieber sparen sollten. Schon oft wollten nämlich meine Austauschschülerinnen etwas mit ihren AFS-Kolleginnen unternehmen, organisierten etwas, wurden am Schluss dann aber versetzt, weil es die Kolleginnen dann schliesslich doch zu teuer fanden. Die Austauschschülerinnen verbringen nur ein Jahr hier, und meiner Meinung nach sollten sie dieses so gut wie möglich ausnutzen und so viel sehen wie nur möglich. Alle meine Austauschschülerinnen waren vom GA begeistert, und nutzten es rege. Sie selber mussten dafür nur zwischen null und achthundert Franken bezahlen, was sich immer ausbezahlt hat. (Ich habe über ihre Fahrten grob Buch geführt, und die Kosten haben sich immer gelohnt.)