Den Alltag mit jungen Menschen aus anderen Kulturen teilen, miteinander diskutieren und lachen, gemeinsam lernen und den Horizont erweitern: Gastfamilie zu sein kann süchtig machen. Hanspeter und Lise Berger sind bereits 12-fache Gasteltern und haben in den letzten 8 Jahren einiges erlebt. Hanspeter gibt interessante Einblicke in ihre Erlebnisse und empfiehlt, diese Erfahrung selbst auszuprobieren.
Was ist deine erste Erinnerung an AFS, und in welchem Zusammenhang?
Als ich 21 Jahre alt war, begann mein AFS-Abenteuer mit meiner Gastschwester Ann, die aus den USA für ein Jahr in unsere Familie kam. Es war eine wunderschöne Zeit, wir hatten es sehr gut zusammen. Ich habe heute noch Kontakt zu Ann und war auch zweimal in den USA bei ihr zu Besuch. Sie wiederum war Gast an meiner Hochzeit.
Du warst mit AFS nicht selbst im Austausch, aber deine Frau und du wurdet Gastfamilie. Wie ist es dazu gekommen?
Unsere eigenen Kinder waren schon ausgezogen, als wir 2015 im Zürcher Unterländer einen Artikel lasen, wo AFS für einen texanischen Austauschschüler eine Gastfamilie suchte. Wir meldeten uns, aber der Junge war bereits platziert. Wir ermutigten AFS, uns bei Bedarf wieder zu kontaktieren.
Kurz danach kam eine Anfrage für einen kolumbianischen Jungen. So kam Andrés in unsere Familie, unser erstes AFS-Familienmitglied. Ich hatte ihn bei seiner Welcome Family abgeholt, und wir fuhren mit dem ÖV zusammen nach Hause. Es war eine gute Erfahrung mit Andrés. Zuerst hatte er etwas Mühe in der Schule, da er den Stundenplan nicht verstanden hatte. Doch danach ging es reibungslos. Er hat wunderbare Fähigkeiten, aber leider begrenzte finanzielle Mittel. Daher haben wir ihn später weiterhin unterstützt, als er wieder in seiner Heimat war.
Und dann kamen die nächsten Gastkinder…
Unser zweites Gastkind Keysha aus Panama war bereits in der Schweiz. Wir hatten sie an einem Chaptertreffen kennengelernt, und sie kam an die Abschiedsfeier von unserem Andrés. Das war ein Highlight: 40 AFSer, davon 35 Latinos, feierten bis um 3 Uhr morgens in unserem Garten.
Jedenfalls konnte Keysha in ihrer Gastfamilie nur ein halbes Jahr bleiben, da haben wir sie bei uns aufgenommen. Nach zwei Tagen sagte sie zu uns, dass sie sich hier jetzt richtig wohl fühle. Wir haben dann bereits einen Tag nach ihrer Abreise die nächste Gastschülerin aufgenommen, Priscilla aus der Dominikanischen Republik. Auch sie war schon in der Schweiz, ich holte sie bei ihrer Gastmutter ab. Priscilla war eine interessierte junge Frau, sie hat uns immer über die Schulter geschaut und gefragt, was wir machen. So kam sie zu dem Kosenamen «Nervensäge» (lacht). Nach ihr kam Nia aus Thailand, und so ging es weiter…
Ihr hattet also durchgängig positive Erfahrungen?
Nur mit einem Gastschüler aus Honduras war es schwierig. Er hatte nicht begriffen, was so ein Austausch wirklich ist, er kam eigentlich nur, um gut Deutsch zu lernen und von Allem zu profitieren, trug aber selbst nichts dazu bei. Er hat z.B. an unserer Weihnachtsfeier mit den Kopfhörern dagesessen und mit niemandem geredet. Oder den Dreikönigskuchen komplett allein aufgegessen. Wir haben ihn dann einfach als Mitbewohner behandelt, und die Zeit «herumgebracht». Das war unser «Ausreisser», aber nur einer aus 12 ist doch eine ganz gute Quote.
Hast du Tipps fürs Zusammenleben?
Es hilft, keine fixen Vorstellungen zu haben, wie es laufen sollte, sondern sich auf alles einzulassen. Und an die Selbstverantwortung appellieren, das heisst dem Gastkind etwas zutrauen. Sie sind zwar jung, aber sie haben mit dem Austausch einen grossen Schritt gemacht, den nicht alle in diesem Alter machen können oder wollen.
Wir versuchen, möglichst wenige Regeln aufzustellen, aber es gibt natürlich schon welche: Sich melden, wenn man später kommt. Oder das Zimmer und Badezimmer selbst putzen. Ich habe zum Abschluss jeweils ein Fotobuch für das Gastkind gemacht, und ein «Souvenir» darin war immer ein Foto von seinem Zimmer.
Zu unseren eigenen Regeln kommen die AFS-Regeln, z.B. kein ausufernder Alkoholkonsum. Unsere Gastkinder dürfen mit uns zusammen bei einem besonderen Anlass schon mal ein Bier trinken. Aber ansonsten machen wir ihnen klar, dass sie bei Missachtung wieder nach Hause müssen.
Wie ist der Kontakt heute zu euren Gastkindern?
Wir haben mit allen noch regelmässig Kontakt. Zwei unserer Gasttöchter sind sogar wieder in unserer Nähe. Priscilla hat die Swiss Hotel Management School erfolgreich abgeschlossen und danach ein Praktikum in Zürich gemacht. Während dieser Zeit besuchte sie uns und hat wie in ihrem Austauschjahr ihre Weihnachtsguetzli in Tannenform gemacht. Jetzt arbeitet sie in Berlin. Bianca aus Argentinien studiert in Coimbra in Portugal und wird uns hoffentlich gelegentlich wieder besuchen.
Wie haben diese Erlebnisse eure Familie geprägt? Was hat sich bei euch verändert?
Die Gastkinder halten uns jung und auf Trab, es ist «Action» im Haus. Wir lernen über andere Kulturen und werden uns der eigenen bewusster. Im Alltag fallen andere Gewohnheiten auf. Unseren Gastkindern aus Südamerika beispielsweise war es geläufig, dass kein Papier in der Toilette entsorgt wird. Oder es war völlig neu für sie, dass man in der Nacht allein herumlaufen kann. Daniel hat das so genossen, dass er abends oft mit seiner Gitarre nach draussen ging, um zu spielen. An solchen Dingen merken wir, dass sich die Teenager wirklich an neue Gegebenheiten gewöhnen müssen.
Auch administrativ haben wir immer wieder Neues dazugelernt; als eine Gastschülerin ihr Portemonnaie verlor, mussten wir schnell ein provisorisches Visum und eine neue Aufenthaltsbewilligung beantragen. Oder das Thema Krankenkassenversicherung, das war eine Herausforderung.
Über was sollte man sich im Voraus Gedanken machen, wenn man Gastfamilie werden möchte?
Dem Gastkind sollte genug Platz zur Verfügung stehen, es sollte ein eigenes Zimmer haben, um sich auch mal zurückziehen zu können. Wenn man Kinder im gleichen Alter wie das Gastkind hat, sollte das Thema ausführlich mit ihnen thematisiert werden. Die Kinder sollten das wirklich wollen, sonst kann es z.B. zu Eifersucht kommen, und vielleicht sogar zu einem Gastfamilienwechsel. Man sollte sich bewusst sein, dass man ein neues Familienmitglied aufnimmt und es vollumfänglich integriert.
Was ist dir sonst noch wichtig zu sagen?
Es ist mir ein Anliegen, dass sich das Gastkind von Beginn an willkommen und wohl fühlt. Wir haben immer das Zimmer schön vorbereitet, die jeweilige Landesflagge mit dem Namen des Gastkindes an der Türe aufgehängt, eine Schokolade aufs Bett gelegt etc. Diese jungen Menschen kommen von weit her und sind allein an einem völlig fremden Ort. Da ist es wichtig, sie herzlich willkommen zu heissen und ihre Ungewissheit zu dämpfen. Regeln besprechen und solche Dinge haben am Anfang noch Zeit.
Auch die Kommunikation ist sehr wichtig, sie sollen uns alles sagen können. Wenn etwas nicht gut ist, soll man das Vertrauen haben es anzusprechen.
Und warum sollte man diese Erfahrung unbedingt machen?
Es erweitert den eigenen Horizont. Mir tut es gut zu sehen, wie die Welt ausserhalb meiner eigenen tickt. Ich sehe, wie gut es uns hier geht und wie hoch das Lebensniveau in der Schweiz ist. Es ist bereichernd, andere Perspektiven zu kennen. Man lernt als Gastfamilie die Person «hinter der Nationalität» kennen, und das ist eine wertvolle Erfahrung. Denn jeder Mensch ist anders, auch innerhalb einer Kultur.
Ich finde auch das ganze AFS-Netzwerk und die regionalen Treffen eine Bereicherung, inklusive dem Kontakt mit den FCP («Family Contact Person»). Es ist schön, dass wir meistens dieselbe Person als Ansprechpartner haben.
Ich möchte interessierten Personen sagen: Wenn man denkt «Gastfamilie sein, das könnte ich nie», sollte man es trotzdem probieren. Mut haben und einfach machen!